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Kreativer Freiheitskampf


Marianne Rosenberg macht unser Leben bunter.

„Mit 65 auf Platz eins zu stehen, das fand ich schon cool.“

„Mir war wichtig, auszudrücken, dass die Menschen gleichberechtigt sind, egal, woher sie kommen, woran sie glauben oder wen sie lieben.“


Text: Steffen Rüth
Fotos: Ben Wolf
 

Sie ist Schlagerstar, LGBTQ-Ikone und Kämpferin für eine offene Gesellschaft – und nach mehr als einem halben Jahrhundert im Unterhaltungsgeschäft nun endlich auch in den Charts ganz oben angekommen. Marianne Rosenberg, 69 Jahre alt, lebenslange Berlinerin und 1975 unsterblich geworden durch Er gehört zu mir, genießt ihre späte Karriere nicht nur, sie tut auch eine Menge für den Erfolg. Das neue Album Bunter Planet ist mehr Pop als Schlager, erinnert in den besten Momenten an Miley Cyrus und Cher. Wir trafen den Star aus Berlin zum Interview.  

 

Frau Rosenberg, Sie singen auf ihrem neuen Album das sehr knackige Disco-Lied Tanzen, das davon handelt, den ganzen Mist um uns herum mal zu vergessen und einfach tanzen zu gehen.

Ja! Disco ist immer im Kommen. Diese Rhythmen, dann noch die Streicher obendrauf, das ist genau mein Ding. Und Tanzen? Wir kennen es ja noch aus den 1920er Jahren, als die Menschen ausgeflippt und ausgelassen den Tanz auf dem Vulkan zelebrierten. Dieses Gefühl habe ich mit dem Song aufgreifen wollen. Man kann sich ja so richtig high tanzen, und alle Sorgen um sich herum sind plötzlich verschwunden.

 

Gehen Sie Tanzen, in Clubs?

Nee, in Clubs gehe ich lieber zum Quatschen mit Freunden. Aber zuhause tanze ich sehr gerne. Dort mache ich die Musik ganz laut und tanze.

 

Sie vermischen auf dem Album Schlager mit Funk, Soul und Pop. Haben Sie darauf geachtet, dass ihre Musik nicht zu traditionell, gar altbacken klingt?

Das war mir meine ganze Karriere lang wichtig. Schon die frühen Sachen klangen nach Disco und Soul und dem Sound Of Philadelphia. Das war absolut nicht typisch für den deutschen Schlager. Und das, was ich gemacht habe, war auch kein deutscher Schlager. Meine Songs haben immer den Zeitgeschmack der weiten Welt adaptiert und in unsere kleine Heimat gebracht. Das ist etwas, was ich bis heute fortführe.

 

Liefen Ihre Musik und der Zeitgeist meistens parallel?

Überhaupt nicht. Ich habe mit dem Album Luna 1998 zu einer Zeit Electropop gemacht, als es viel zu früh war und diese Musik als schräg und progressiv galt. Ich war immer zu früh. Nur vor vier Jahren mit Im Namen der Liebe war ich endlich auch mal zur richtigen Zeit mit der passenden Musik am Start.

 

Prompt erreicht das Album in Deutschland die Spitze der Charts?

Was mich sehr, sehr gefreut hat. Ich halte überhaupt nichts davon, das Alter der Menschen zum Thema zu machen, aber mit 65 auf Platz eins zu stehen, das fand ich schon cool.

 

Wer beeindruckt sie musikalisch zurzeit?

Die Sounds von Dua Lipa oder von Miley Cyrus haben mich absolut inspiriert. Diesen Sound wollte ich reinholen in meine Platte. Ich gucke mir generell gern an, was die Musikerinnen und Musiker machen, die nach mir auf die Welt gekommen sind, und finde viele von denen sehr spannend und kreativ. Ich bin überhaupt nicht jemand, die denkt: „Ach ja, früher war die Musik viel besser, und heute taugt das alles nichts mehr“.

 

Deshalb klingt Keine Zeit also so ein bisschen nach Flowers von Miley Cyrus.

Oh ja, Flowers war ein absolutes Lieblingslied von mir. Das ist ja im Prinzip retromäßig und hat die ganzen modernen Electro-Elemente weitgehend draußen gelassen. Das fand ich super charmant. Dann habe ich mir gedacht, ich brauche unbedingt auch einen Song wie Flowers (lacht).

 

Miley, Dua Lipa, Taylor Swift, Beyoncé – was denken Sie als Feministin darüber, wie sehr Popmusik inzwischen von Frauen geprägt wird?

Ich sage „endlich und wunderbar“. Besonders schön finde ich, dass viele dieser jungen Frauen auch die Regisseurinnen ihrer Karriere sind und selbst das Sagen haben. Wenn jetzt noch Frauen im Musikbusiness in Führungspositionen gelangen würden, würde ich es noch besser finden. In all den Jahren hatte ich nur zwei Frauen als Plattenbosse, und ich mache diesen Job seit 54 Jahren. Frauen sind noch immer oft in diesen typischen Positionen wie Backgroundsängerin oder Tänzerin. Natürlich gibt es auch tolle Produzentinnen oder tolle Schlagzeugerinnen, aber es gibt noch längst nicht genug.

 

Sie selbst standen schon als Kind auf der Bühne und haben mit vierzehn Jahren Ihre erste Single rausgebracht.

Das ist richtig, ich kam sehr jung in dieses Business. Ich musste die ganzen Weisungen erdulden, was man in diesem Beruf zu tun und zu lassen hat. Ich war damals auch nicht sehr aufmüpfig oder kämpferisch. Mein langer Weg der Emanzipation begann dann so mit 22, 23, was eigentlich spät ist.

 

Würden Sie es heute guten Gewissens einem Mädchen empfehlen, so früh einzusteigen?

Wenn es nicht so ein bedingungsloser Flug von einer kleinen Motte ins Licht ist, und wenn jemand Erfahreneres vielleicht mit Rat und Tat zur Seite steht, dann finde ich das nicht ungesund. Wenn da eine echte Musikbegeisterung und eine Faszination zu spüren sind und nicht nur der Drang, Aufmerksamkeit zu bekommen, dann sollte man das ruhig unterstützen und freilassen. Ich finde es toll, wie viele junge Leute von Anfang an ihre eigenen Songs schreiben, ihre eigenen Sachen erfinden und schon sehr früh eine wahnsinnige Kreativität entwickeln. Warum sollte ich das verurteilen? Überhaupt haben wir kein Recht, Menschen, die jünger sind, in irgendwelche Richtungen zu weisen. Und heute vierzehn zu sein ist anders, als vor fünfzig Jahren vierzehn gewesen zu sein.

 

In welcher Hinsicht?

Damals war man mit vierzehn ein Kind. Man hatte keinerlei Mitspracherecht, auch nicht gegenüber den Eltern. Heute werden die Kinder sehr viel mehr in Familienentscheidungen mit einbezogen.

 

Noch dazu sind Sie eines von sieben Kindern gewesen.

Ja, die Flügel waren immer schön unten. Mit so vielen Geschwistern hast du keine Chance abzuheben. Aber für das Leben war das eine sehr gute Schule. Es ist keinesfalls zu meinem Schaden gewesen mit sechs Schwestern und Brüdern aufzuwachsen.

 

Sie haben das neue Lied Freiheit zusammen mit der jungen Kollegin Namika geschrieben. Es handelt davon, dass die Neugier stärker sein sollte als die Vernunft. Ist das bei Ihnen immer der Fall gewesen?

Ja, total. Ich wollte mich nie einsperren oder in Korsett zwängen lassen. Das beste Beispiel: Ich wollte meine erste Karriere seinerzeit richtig zerstören.

 

Sie meinen die Schlagerkarriere mit Er gehört zu mir, Marleen und anderen Hits, die sie hatten, als sie um die 20 waren.

Genau. Niemand verstand, warum ich das nicht einfach weitermachte. Alle fragten sich, ob ich keinen Erfolg wollte. Aber ich finde, dass ich mit der Abkehr von diesen Liedern damals meine Persönlichkeit gerettet habe. Ich wollte nicht, dass 30-jährige Männer für mich die Lieder und die Texte schreiben. Ich musste erstmal wissen, wo ich selbst hingehen wollte. Dieses Bild, das von mir in der Öffentlichkeit entstanden war, das musste ich damit in Einklang bringen, wer ich in Wirklichkeit war. Und ich musste gucken, was ich erreichen möchte. Dazu musste ich leben und auch Fehler machen. So bin ich eben mit Blixa Bargeld und Rio Reiser in der Berliner Schaubühne aufgetreten.

 

Sie sind eine Ikone der LGBTQ-Bewegung und stehen für eine vielfältige, offene Gesellschaft. Lag der Albumtitel Bunter Planet auf der Hand?

Das Lied Bunter Planet kam von Leslie Clio. Ich habe mich dazugesellt, habe den Songtext noch weiter geöffnet, denn es soll um Diversität der Menschen in allen Formen und allen Bereichen gehen. Mir war wichtig, auszudrücken, dass die Menschen gleichberechtigt sind, egal, woher sie kommen, woran sie glauben oder wen sie lieben.

 

Zudem ist Bunter Planet ein Friedenslied, oder?

Das stimmt. Natürlich hat so eine Zeile wie „Wir schmeißen Blumen gegen Kriege“ auf einmal eine Bedeutung, die sie vor zweieinhalb Jahren noch nicht hatte. So, wie sich unser Leben und die Zeit gerade gestaltet, fühlt sich ein solcher Song nun nochmal anders an. Was in diesem Fall was Schönes ist. Auf einmal denke ich bei diesen Zeilen an Bob Dylan und Joan Baez.

 

Was kann Musik ausrichten?

Musik kann eine ganze Menge. Wir sollten ihre Wirkung auf keinen Fall unterschätzen. Vielleicht ist sogar Kunst schlechthin jetzt der Schlüssel dazu, dafür zu kämpfen, was wir alles haben und bewahren wollen. Vielleicht liegt die Power auf den Bühnen, in der Malerei, im Theater. Das wäre ja nicht das erste Mal, dass von dort Einflüsse und Anregungen kommen, die weit in die Gesellschaft hineinwirken.


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